Von gefährlichen Schnellschüssen

Bundessprecher*innenrat

Es geht um den Antrag G.04. [Link] der AntragstellerInnen BAG Betrieb und Gewerkschaft, BAG Hartz IV, BAG Sozialistische Linke „Der Parteitag möge beschließen: Gute und verkürzte Arbeit und sanktionsfreie Mindestsicherung statt BGE-Illusionen.“ Der Parteitag soll mit diesem Antrag gegen das Grundeinkommen votieren. Der Antrag enthält sehr viele unwahre Behauptungen und für die Partei DIE LINKE hochproblematische Argumente. Wir greifen nur drei Behauptungen heraus und kommentieren diese. Sie stehen stellvertretend für die fragwürdige Qualität und Seriosität des Antrags.Verwiesen wird im folgenden Kommentar auf das Konzept der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE, da über dieses wird befunden. Wir gehen auf folgende drei Behauptungen aus dem genannten Antrag ein. Es geht um diese Passage:

„Ein BGE müsste immer zu Lasten der Erwerbseinkommen bzw. ihrer Kaufkraft finanziert werden. Überwiegend müsste es von den Lohnarbeitenden bezahlt werden. Viele würden per Saldo verlieren.“

1. Was ist wahr an der Behauptung „Viele würden per Saldo verlieren“?

Diese Behauptung bezieht sich auf die im Satz vorher genannten Lohnarbeitenden. Richtig ist hingegen, dass sich mit dem Konzept der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE ca. 95 Prozent der Erwerbstätigen besserstellen würden – nämlich alle, die gegenwärtig weniger als 6.500 Euro brutto im Monat Erwerbseinkommen beziehen.

Wahr ist also: Sehr viele Lohnarbeitende würden per Saldo gewinnen, insbesondere diejenigen im unteren Einkommensbereich. Von den Millionen Erwerbslosen, den Beziehenden von Hartz-IV- und anderen Grundsicherungsleistungen, von Leistungen im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt sowie den Asylbewerber*innen abgesehen, die sowieso alle vom Grundeinkommen profitieren. Das kann man alles im veröffentlichten Konzept der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE nachlesen.

Wahr ist auch: Alle mit Bruttoerwerbseinkommen über 6.500 Euro im Monat würden Einbußen erleiden.

2. Was ist an der Behauptung „Ein BGE müsste immer zu Lasten Erwerbseinkommen bzw. Kaufkraft der Erwerbstätigen finanziert werden“ hochproblematisch?

Grundsätzlich kann man Zweifel haben, ob die AutorInnen des Antrags sich der Tragweite ihrer Argumentationslogik bewusst sind: Jede Abgabe, Steuer und jeder Beitrag auf Erwerbseinkommen erfolgt „zu Lasten der Erwerbseinkommen“ – ob nun für eine Sozial- bzw. Bürgerversicherung, für öffentliche Infrastrukturen und soziale Dienstleistungen usw.

Wenn bzgl. des Grundeinkommens darin ein Problem erkannt wird, müssten die AutorInnen alle bestehenden und von der Partei DIE LINKE geforderten öffentlichen Institutionen und Sozialsysteme in Frage stellen. Denn sowohl bestehende Systeme als auch die von der Partei DIE LINKE geforderten Sozialsysteme – wie die Bürgerversicherung, Erwerbstätigenversicherung und ausgebaute soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen – würden ebenfalls zu „Lasten der Erwerbseinkommen“ finanziert werden.

Nimmt man also die Logik dieser Argumentation im Antrag ernst, würden sich die AutorInnen gegen alle öffentlichen Institutionen, sozialen Infrastrukturen und Dienstleistungen bzw. deren Verbesserung stellen. Das ist keine LINKE Position!    

Ob nun durch eine Finanzierung dieser öffentlichen Institutionen, Infrastrukturen und Dienstleistungen tatsächlich die Kaufkraft der Erwerbstätigen geschmälert wird, wäre zu prüfen. Denn das hängt von dem ab, was die Erwerbstätigen/Lohnarbeitenden im Gegenzug für die geleisteten Steuern, Abgaben und Beiträge bekommen – z. B. ein gute Gesundheitsversorgung, gute Bildung oder soziale (gebührenfreie) Infrastrukturen und Dienstleistungen. Denn diese öffentlichen Angebote, die aus öffentlichen Mitteln bzw. Sozialversicherungen vorgehalten werden, müssen nicht direkt aus dem eigenen Geldbeutel finanziert werden, erst recht nicht, wenn sie für alle gebührenfrei sind. Das heißt, sie bewahren die Kaufkraft der BürgerInnen inkl. der Erwerbstätigen vor Verlusten.

Die AutorInnen des Antrags haben offensichtlich den Sinn und die Funktionsweise solidarischer Umverteilung durch Steuern, Abgaben und Beiträge aus dem Blick verloren.     

Auch im Falle des Grundeinkommens haben die AutorInnen des Antrages vollkommen übersehen, oder verschweigen, dass für 95 Prozent der Erwerbstätigen die Kaufkraft gestärkt wird, weil sie monatlich mehr Geld in der Geldbörse haben als ohne Grundeinkommen – insbesondere Menschen im unteren Einkommensbereich.

Dazu kommt noch der gebührenfreie Öffentliche Personennahverkehr, die ausgebaute öffentliche Infrastruktur im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms und die modernisierten Sozialversicherungen (BürgerInnenversicherung, Erwerbstätigenversicherung, Erwerbslosenversicherung) – alles Bestandteile des Grundeinkommenskonzepts der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE und des dazugehörigen Finanzierungskonzepts.     

Man sieht also: Auch diese Behauptung im Antrag ist falsch. Im Gegenteil: Die dieser Behauptung zugrunde liegende Argumentationslogik ist sogar hochgefährlich, weil sie solidarische Absicherungen und Angebote an Menschen in Frage stellt, somit auch grundlegende LINKE Positionen. Denn, bleibt man in der Logik der AutorInnen, dürfte es keine solidarische Absicherung und Angebote mehr geben, die die Erwerbstätigen/Lohnarbeitenden mit ihren Steuern, Abgaben und Beiträgen mitfinanzieren, z. B. keine Sozialversicherungen bzw. Bürgerversicherung/ Erwerbstätigenversicherung, keine öffentlichen sozialen Infrastrukturen und Dienstleistungen, keine Grund- bzw. Mindestsicherungen.          

3. Wie steht es mit der Behauptung „Überwiegend muss das BGE von Lohnarbeitenden bezahlt werden?“

Dazu muss man eben das Grundeinkommenskonzept der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE gelesen haben. Dies ist, so zeigen auch die obigen Argumentationen, anscheinend nicht geschehen.

Das Grundeinkommenskonzept der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE enthält vier Finanzierungsbestandteile:

1. BGE-Abgabe auf alle Einkommen (nicht nur auf Erwerbseinkommen),
2. Sachkapitalabgabe,
3. Primärenergieabgabe,
4. Microabgabe auf Finanztransaktionen.

Gehen wir diese Finanzierungsbestandteile kurz durch:

Zu 1. Die BGE-Abgabe trifft alle abgabepflichtigen Menschen mit Einkommen in gleichem Maße, egal ob lohnabhängig beschäftigt oder nicht! Die lohnabhängig Beschäftigten zahlen ca. 480 Milliarden Euro an BGE-Abgaben (35 Prozent von 1.370 Milliarden Euro Lohneinkommen). Das sind 44 Prozent der Gesamteinnahme für das Grundeinkommen. Schon hier ist ersichtlich, dass die Behauptung der AutorInnen des Antrags nicht stimmt. Im Gegenzug aber haben 95 Prozent aller Erwerbstätigen, wovon rund 90 Prozent Lohnabhängige sind, wie zuvor ausgeführt, sogar mehr im Portemonnaie als ohne Grundeinkommen – die Millionen Erwerblosen, Grundsicherungsbeziehenden und AsylbewerberInnen sowieso. 

Woran liegt diese Umverteilung von oben zu den Lohnarbeitenden, Erwerbslosen, nicht Erwerbsfähigen bzw. -tätigen und zu AsylbewerberInnen? Dazu muss man die folgenden Finanzierungsbestandteile des Konzepts mit betrachten.

Zu 2: Bei der Sachkapitalabgabe in Höhe von rund 147 Milliarden Euro zahlen vor allem Kapitalbesitzende inkl. Immobilienbesitzende mit großem Vermögen in den Grundeinkommenstopf ein. Ein großer Teil der Vermögen in Deutschland befindet sich eben nicht im Besitz der Lohnarbeitenden, erst recht nicht hoher Kapitalbesitz/hohes Vermögen. Da Vermögende also bedeutend mehr in den Grundeinkommenstopf hineingeben als sie daraus entnehmen, ist die Umverteilungswirkung von Kapitalbesitzenden und Personen mit hohem Vermögen hin zu lohnabhängig Beschäftigten u. a. eindeutig positiv.

Zu 3. Die Primärenergieabgabe in Höhe von 95 Milliarden Euro richtet sich nach dem individuellen Energieverbrauch. Bekannt ist, dass Personen mit (sehr) hohen Einkommen im Durchschnitt bedeutend mehr Primärenergie verbrauchen als lohnabhängig Beschäftigte mit mittleren und geringen Löhnen. Daher ist die Umverteilungswirkung von Personen mit (sehr) hohen Einkommen hin zu lohnabhängig Beschäftigten mit mittleren und geringen Löhnen u. a. auch hier eindeutig positiv.

Zu 4. Die Microabgabe auf Finanztransaktionen in Höhe von 85 Milliarden Euro trifft lohnabhängige Beschäftigte mit mittleren oder geringen Einkommen nur zu einem geringen Prozentanteil – weil sie eben nur geringe Einkommen haben, die sie über Finanztransaktionen bewegen. Die Umverteilungswirkung von Personen mit (sehr) hohen Einkommen und Kapitalgesellschaften, die ein bedeutend höheres Volumen von Finanztransaktionen haben, hin zu lohnabhängig Beschäftigten mit mittleren und geringen Einkommen ist eindeutig positiv. Dazu kommt die massive Einschränkung des Derivatenhandels und der Finanzspekulation, also von Spekulationen, die letztlich den Reichtum bei einem kleinen Teil der Bevölkerung massiv mehren und Gesellschaft und Ökonomie zum Spielball der Wenigen machen.

Man kann abschließend feststellen: Anhand von drei Beispielen konnte nachgewiesen werden, wie die AntragstellerInnen argumentieren – mit unwahren Behauptungen und mit für die Partei DIE LINKE hochproblematischen Argumenten. Die Behauptung, dass das BGE überwiegend durch Lohnarbeitende bezahlt werden muss, ist nicht wahr. Geurteilt wird ohne Kenntnis des Grundeinkommenskonzepts der BAG Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE und dessen Umverteilungswirkung von den Reichen zu den Menschen mit mittleren Einkommen, insbesondere zu Menschen mit bisher geringen Einkommen. Auch werden Sinn und Funktionsweise solidarischer Umverteilung aus dem Blick verloren.

Wir sind offen für Kritiken an unserem Grundeinkommenskonzept – aber bitte mit seriösen und linken Argumenten.

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